Skandal in Segelnationalmannschaft / Fair ist anders

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Ab Rennen sechs war klar: Kadelbach/ Belcher (GER21) attackierten Lutz/ Beucke (GER61) direkt - Foto: BSV

Ganz Segeldeutschland schaute zu, als die Form von Tina Lutz (Chiemsee Yacht Club) und Susann Beucke (Hannoverscher Yacht Club) bei den Ausscheidungen zu den Olympischen Spielen 2012 immer steiler nach oben zeigte. Doch sie wurden auf dem Wasser mit allen Mitteln von ihren eigenen Landsleuten auf fragwürdigste Weise bekämpft. Lutz/ Beucke lösten zwar das Olympiaticket für Deutschland - fahren werden aber jene kämpferischen Konkurrentinnen Kadelbach/ Belcher.

Kein Vorgehen im Laufe einer Regatta hat die Gemüter dieses Jahr so erhitzt wie die Olympia-Ausscheidung in Perth/ Australien die letzten Tage. Alle olympischen Segelklassen trafen sich dort zur letzten regulären Chance, als bestes Deutsches Team in London 2012 teilzunehmen - und für Deutschland einen Platz zu sichern. Starker Wind, Haialarm und Gewitter gingen in Anstrengung und Konzentration völlig unter.

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Bei Starkwind ging es den beiden Tina Lutz und Susann Beucke in Perth sehr gut - Foto: Sailing Team Germany

Im 470er, einer der wenigen Medaillen für die Frauen, war schon früh im Jahr die Chance reduziert auf zwei sehr aussichtsreiche Kandidaten:

Einmal das sehr junge Team vom Chiemsee mit Tina Lutz (Opti-Weltmeisterin) und ihrer mutigen und kraftvollen Vorschoterin
Susann Beucke - und das Berliner Team mit Kathrin Kadelbach und Friederike Belcher aus Berlin (beide Verein Seglerhaus am Wannsee). Drei Regatten definierte der Deutsche Segler-Verband zur Klärung der einzigen Deutschen Kandidaten-Mannschaft, sollte ein Platz bei den Spielen im nächsten Sommer in London/ Weymouth erkämpft worden sein: Der Worldcup im Juni 2011 in Weymouth, Kieler Woche und die gerade beendete Weltmeisterschaft in Perth/ Australien.

In Weymouth waren Kadelbach/ Belcher 9. und Lutz/ Beucke 15. In Kiel trumpften Lutz/ Beucke zwar auf den sensationellen zweiten Platz auf, jedoch direkt im Nacken ihre Gegnerinnen. Durch die unterschiedliche Bewertung waren nun die Berlinerinnen nur zwei Punkte in Führung.

Showdown in Perth: Jeder erwartete, dass die beiden Mädchenmannschaften im international harten Vergleich, als alle
Olympioniken am Start waren, nun ihre Performance im Fleet-Race (im Rennen jeder gegen jeden) zeigen würden.
Lutz/ Beucke bestachen durch einige Plätze weit vorne (6, 30, 4, 15, 11) und Kadelbach/ Belcher versagten weit über dem 20. und sogar 30. Platz. Schon wurden große Hoffnungen in Deutschland geboren, dass Tina und Susann nicht nur das Olympiaticket für Deutschland holen würden, sondern vielleicht auch noch so stark gegen die Konkurrenz wären, dass man im Sommer berechtigt mitfiebern könne. Meldungen überschlugen sich nach Europa, viele, nur am Rande vom Segeln Begeisterte, ließen sich
mitreissen.

Die abgeschlagenen Konkurrentinnen Kadelbach/ Belcher mit ihrer Trainerin und früheren Match-Race Kampfgefährtin Ulrike Schümann entwarfen an einem freien Tag jedoch einen egoistischen Plan: Würde keine von beiden Mannschaften den Platz bei den Spielen für Deutschland lösen, so wäre die Entscheidung auf einen Sonderfall vertagt - auf die Weltmeisterschaft der 470er in Barcelona im nächsten Frühjahr, wo sich fünf weitere, bis dahin nicht-platzierte Nationen, qualifizieren können.

Kadelbach und Schümann sind unter Deutschlands Frauen die Match-Race-Spezialisten. Im Match-Race wird scheinbar destruktiv unter Einsatz komplizierter Regelwerke und, wie im Rechtssystem, endloser Fallauslegungen und Schiedsgerichtsentscheidungen, nur darum gekämpft, dass der Gegner schlechter als man selbst ist. Die Ziellinie ist ganz
aus den Augen, nur der Konkurrent, dessen Provokation zu Fehlern und Regelübertretungen mit für ihn konsequenten Strafen, zählt.

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Während die Konkurrenz weit weg schon startet, werden Lutz/ Beucke (links) von Kadelbach noch
immer von der Startlinie weggejagt - Foto: BSV

Am Start des sechsten von zehn Rennen schlugen die Berlinerinnen zu: Sie liessen Lutz/ Beucke mit den machtvollen Wegerechtsregeln ("Backbordbug vor Steuerbordbug" und "Lee vor Luv") nach Match-Race-Manier gar nicht erst zum Start. Sie jagten diese einfach zur linken Seite. Die jungen und im Match-Race unerfahrenen Mädchen Tina und Sanni konnten es gar nicht glauben: Da geht es bei einem Start um Millimeter, um den besten Platz mit den besten Seglerinnen der Welt, um Bruchteile von Sekunden - und sie wurden von ihrer eigenen Teamgefährtin bekriegt - hunderte von Metern und fast schon Minuten vom Start
entfernt. Die Chiemseer gingen gar nicht darauf ein, doch konnten sie sich auch nicht aus der "Umklammerung" lösen.

So ging es weiter bis zum zehnten Rennen. Einmal losgelassen, kamen Lutz/ Beucke schnell von den langsamen Kadelbach/ Bechtel weg, doch nicht mehr an die Spitze. Plätze 33, 34, 25, 49 waren die Folge. Den Absturz registrierte man in Deutschland sofort und die öffentlichen Reaktionen "Darf man das?", "unsportlich", "unmoralisch", "nicht sauber" explodierten. Segelforen und -blogs verzeichneten einen Sturm an Entrüstung und Diskussionen - in dieser Masse bisher unbekannt.

Schnell war von zu Hause aus analysiert, dass zwar alles nach Regeln verlief, aber sonst kein Sportler auf die Idee kommen würde, sein eigenes Team zu sabotieren und damit die Teilnahme der Nation an den Spielen in dieser Sportart zu gefährden. Von einem "Dolchstoß" aus eigenen Reihen redeten die Segler, die mit Schaudern daran denken, wenn ihnen selbst einmal ein Teamgefährte aus egoistischen Gründen ohne Vorwarnung in den Rücken fallen würde. Der Deutsche Seglerverband ist machtlos und Vizepräsident Thorsten Haverland fühlt sich sehr unwohl, die Situation zu kommentieren. Insider diskutieren: Wenn auch alles nach den Regeln des Segelns zuging, ist das im Sinne des fairen olympischen Sportes?

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Rauhe Segelbedingungen in Perth - Foto: Sailing Team Germany

Lutz/ Beucke wurden von ihrem Trainer Zizi jedoch gut betreut. Sie bewahrten Nerven, lernten in Windeseile ein paar Tricks und konnten sich in der letzten Wettfahrt früh aus der Umklammerung lösen und fuhren sofort wieder einen neunten Platz (damit gesamt 20.) und damit auch in letzter Sekunde den benötigten Nationenplatz für Deutschland. Loyal, denn sie hätten auch einfach zurückziehen und auch auf die risikoreiche Barcelona-Chance setzen können. Es wäre wieder 1:1 gestanden - alles
offen.

So entschieden sich die jungen Seglerinnen für eine Charaktertat, denn sie wussten, dass sie zwar den Nationenplatz holten - jedoch nicht für sich. Sie kamen nicht mehr weit genug im Gesamtergebnis nach vorne, um die zwei Punkte gegenüber Kadelbach/ Belcher aufzuholen. So fahren nun die beiden Berlinerinnen mit einer Fahrkarte zu den olympischen Spielen, die sie selbst mit allen Mitteln bekämpft haben.

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Tina (rechts) und Sanni werden in Zukunft leider eher vorsichtig mit Mannschaften aus dem eigenen
Team umgehen - Foto: Sailing Team Germany

Für Tina und Sanni brach die Welt zusammen: Freude über die sichere Teilnahme und Desillusion gegenüber sportlicher Fairness so nahe zusammen. Viele geben den sehr jungen Mädchen in vier Jahren noch viel größere Chancen - doch die Erfahrung von Perth wird sie stark prägen.

Als Unterlegene in einem derartigen Machtkampf werden sie nie wieder so unbedarft und mit ehrlichem Lächeln auf Wettkämpfe fahren. Dafür waren sie so beliebt - das, so hoffen alle ihre Segelfreunde aus dem eigenen Team und aus der großen, befreundeten Konkurrenz, "müssen sie sich unbedingt erhalten!"

Siehe auch Bericht auf der Homepage von Tina Lutz / Susann Beucke