Sporthilfe

Unter der Überschrift "Flachland Indianer" erschien der nachfolgende Artikel im Magazin der deutschen Sporthilfe.

Eigentlich ist es eine klare Sache: Wer aus dem Chiemgau kommt, dem südöstlichen Zipfel Deutschlands, noch dazu aus einem Ort mit dem vielsagenden Namen „Bergen“, der landet mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit im Schnee. Tina Lutz hat für sich persönlich trotzdem einen anderen Aggregatzu- stand gewählt: Gemeinsam mit ihrer Partnerin Susann Beucke aus Kiel besegelt die 29-Jährige das Wasser auf einem Boot der 49er FX-Klasse. Sie selbst nennt sich, und wechselt dafür vom Hochdeutsch ins Bayerische, „Gebirgspfützenseglerin“. Diese Wortneuschöpfung ist nicht nur ein Beweis für die Schönheit der deutschen Sprache, sondern auch noch maßlos untertrieben. Ihre ersten Erfahrungen machte Lutz zwar tatsächlich auf einem Gebirgsgewässer, dem Chiemsee, wo die Nachbargemeinden Ruhpolding, Inzell und Reit im Winkl doch schon sehr nach Wintersport klingen. Angefixt durch ein Schnuppertraining und ihren ebenfalls segelnden älteren Bruder erwies sich die kleine Tina als großes Talent, der dritt- größte deutsche See wurde ihr schnell zu klein. Sie trainierte fortan mit einer norddeutschen, später sogar einer polnischen Trainingsgruppe an der Küste. Schon als Jugendliche und Juniorin sammelte sie dort diverse EM- und WM-Titel. Dabei verabschiedete Lutz sich erst mit 13 Jahren von ihrer zweiten Leistungssportart, dem Skifahren. „Segeln hielt ich damals für die klügere Wahl, weil man da das bessere Wetter hat. Rückblickend muss ich sagen: da habe ich mich ge- schnitten“, lacht die Master-Studentin der Wirtschaftspsy- chologie und denkt dabei an viele nasskalte Tage auf hoher See. Bereut hat sie ihre Wahl aber nie, auch nicht, nachdem sie zweimal knapp an der Olympia-Teilnahme vorbeige- schrammt war – 2012 sogar hochdramatisch nach einem zumindest fragwürdig verlaufenen Ausscheidungssegeln gegen ein anderes deutsches Paar, damals noch in der 470er Klasse. Ihre Konkurrentinnen bremsten Lutz und Beucke

mehrfach aus, das Ticket nach London war weg. Die Fehde auf dem Wasser ging sogar bis vor Gericht. „Danach hätte ich beinahe aufgehört, aber als das 49er- Boot olympisch wurde, war schnell klar: wir machen weiter“, sagt Lutz heute. Die Klasse gilt als die Formel 1 des Wassersports. Auf den schwer zu manövrierenden Booten sind eine exzellente Technik und eine sehr gute Athletik ge- fragt, schließlich erreichen die Boote Geschwindigkeiten von bis zu 50 km/h. In Japan wollen sich Steuerfrau Lutz und Vorschroterin Beucke, die seit zwölf Jahren gemeinsam segeln und 2017 Europameisterinnen wurden, nun ihren olympischen Traum erfüllen. Dafür sind sie ständig unter- wegs, am Bundesstützpunkt in Kiel verbringt Lutz nur so viel Zeit wie nötig. Viel lieber ist sie zuhause, bei ihrer Fami- lie im Chiemgau oder in Innsbruck, wo sie mit ihrem Freund wohnt. Ein Umzug in küstennahe Gebiete sei nie in Frage gekommen. „Die Gebirgsziege fühlt sich im Flachland nicht wohl“, begründet Lutz ihre Verbundenheit mit der bergigen Heimat. So ganz ohne Bayern geht es eben doch nicht. Übrigens auch nicht im Segeltraining: Neben den Stunden auf dem Wasser und der steten Arbeit am Boot hat Lutz noch eine dritte Facette perfektioniert: das Fitnessprogramm. Über einen befreundeten Biathleten kam der Kontakt zu Wolfgang Pichler zustande, dem langjährigen Coach der schwedischen Biathlonnationalmannschaft. „Brutal“ sei dessen Training gewesen, so hart wie noch nie hätte sie für die Fitness geschuftet, sagt Lutz. „Aber es hat sehr geholfen. Wir wussten, wir sind immer die letzten, denen die Luft ausgeht.“ Heute schreibt der Münchner Johannes Lukas, Pichlers ehemaliger Assistent und sein Nachfolger als Chef- trainer der schwedischen Biathleten, die Trainingspläne für Tina Lutz. Eine bayerisch-bayerische Allianz also für das große Ziel – den Olympiahafen von Enoshima.

Mit freundlcher Genehmigung der Deutschen Sporthilfe.

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