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Wie die DSV-Kaderseglerinnen Tina Lutz und Susann Beucke dem Shutdown in Spanien knapp entgehen – und die Solidarität unter Seglern einen kleinen, feinen Triumph gegen das Corona-Virus feiert


Als Olympia-Aspirant hat man es gerade nicht leicht. Dreieinhalb Jahre Vorbereitung liegen hinter den beiden in der nationalen Qualifikation führenden 49er-FX-Seglerinnen. Vor Palma sollte diese Woche die letzte Ausscheidungsregatta stattfinden. Doch sie wurde – wie so vieles derzeit – wegen der Corona-Epidemie abgesagt. Auch die Olympischen Spiele selbst stehen auf der Kippe, obwohl IOC-Präsident Thomas Bach derzeit noch keine Gefährdung erkennen mag, was wir hier einfach mal unkommentiert lassen wollen (mehr dazu s.u.).

In einen Moment zwischen Hoffen und Bangen, zwischen maximaler Motivation und kaum geringerer Sorge, ob am Ende alle Plackerei womöglich vergebens gewesen sein könnte, in dieses emotionale Irgendwo also platzte Ende vergangener Woche die Nachricht, dass Spanien seine Grenzen dichtmachen und das öffentliche Leben maximal einschränken werde.

Für Tina Lutz (29) und Susann Beucke (28), die schon die Absage der Trofeo Princesa Sofia wie ein Faustschlag getroffen hatte, änderte sich dadurch alles. "Wir hatten zuerst vor, noch in Palma zu bleiben und mit anderen Teams zu trainieren", berichtet Beucke gegenüber YACHT online. "Aber dann hieß es plötzlich: nix wie weg hier, schnellstmöglich zurück nach Hause."

Nur: Wie runterkommen von einer Insel, die auch andere Touristen Hals über Kopf verlassen wollen? Wie einen Platz ergattern auf einer der Fähren zum Festland? Wie durch halb Europa kommen, wenn am Wochenende überall die Grenzen schließen?

Lauter Fragen, keine Antworten, oder jedenfalls keine, auf die man hätte bauen mögen. Bis sich unerwartet und ebenso plötzlich doch eine Tür für die Kaderseglerinnen öffnete.

"Das war wirklich großartig", erzählt Susann Beucke. "Der Real Club Nautico hat sich für die Teams eingesetzt und quasi im Handumdrehen Plätze für mehrere Trailer-Gespanne auf der Fähre reserviert. Wir konnten unser Glück kaum fassen und sind sicherheitshalber vier Stunden vor der Abfahrt schon am Terminal angestanden. Aber das wäre gar nicht nötig gewesen. Wir kamen sofort mit."

Man darf vermuten, dass royaler Einfluss am Werk war bei diesem kleinen Wunder. Spaniens König Felipe VI jedenfalls, Mitglied im nämlichen Club, war 1992 selbst Olympiasegler im Soling, was sicher nicht schaden kann, wenn es gilt, scheinbar Unmögliches zu bewirken.

Statt vor Palma um Silber zu segeln und ihr Ticket für Enoshima zu lösen, wie geplant, schipperten Susann Beucke, Tina Lutz und ihr Freund sowie Teams etlicher anderer Länder also unvermittelt in einer riesigen Autofähre übers Mittelmeer, Kurs Barcelona.

Eine, die vielleicht wichtigste Etappe war geschafft. Aber immer noch lagen reichlich Ungewissheiten vorm Bug.

Aus Sorge vor möglichen Sprit-Engpässen hatten die beiden vorsorglich einen 25-Liter-Kanister von einem Trainerboot des DSV zweckenfremdet. Statt mit Benzin war er randvoll mit Diesel für ihren Audi befüllt. Man kann ja nie wissen bei einem Road-Trip, der im Corona-Chaos nonstop über die Pyrenäen und die Alpen führen sollte.

In Barcelona rollten sie Sonnabend an leeren Gassen vorbei. "Unglaublich!" Die sonst so pulsierende Metropole, sie wirkte menschenleer. Eine Geisterstadt. "Da wurde uns klar, wie groß die Bedrohung offenbar ist", sagt Susann Beucke. "Kein Vergleich zu den Verhältnissen heute in Deutschland. Die Spanier haben viel konsequenter reagiert."

Auf ihrem Weg nach Norden passierten sie einen Kleinbus vom britischen Nationalteam. Sonst blieb die überhastete Reise, bei der sie mit allen Widrigkeiten gerechnet hatten, erstaunlich ereignislos: wenig Verkehr, fast verwaiste Grenzübergänge, freundliche Behörden. "Wir kamen überall locker durch."

Auch der Spritkanister erwies sich als unnötig. Erst in der Schweiz wurde das Corona-Virus plötzlich wieder zur Realität. In einer Raststätte war jeder zweite Sitzplatz mit einem Sperrvermerk versehen: "Social Distancing". Eines der neuen Schlagwörter der Pandemie, das die Wahrung von mindestens zwei Meter Abstand weltweit zum Begriff gemacht hat.

Wenige Stunden später waren die Seglerinnen wieder in ihrer Heimat, wo sie sich prompt in häusliche Quarantäne begaben. Denn das ist für Reisende aus Spanien derzeit Pflicht. Die brutalstmögliche Vollbremsung für zwei Topathletinnen, die in diesen Tagen eigentlich ihre lang ersehnte und hart erarbeitete Teilnahme an den Olympischen Spielen klarmachen wollten.

"Als Sportler pushen wir uns ja dauernd. Es muss immer weiter gehen, immer noch besser, noch schneller, noch effizienter. Und diese Motivation, dieser Hunger ist auch wichtig. Aber jetzt...?", fragt Beucke.

"Es fühlt sich an wie Zwangsurlaub. Der kommt eigentlich gar nicht so unpassend, weil wir seit der WM in Australien unheimlich ausgepowert sind. Nur wissen wir jetzt noch nicht mal, ob überhaupt, wann und wo wir eventuell die verpasste letzte Quali segeln sollen."

Sie sagt es ohne jeden Groll, klingt erstaunlich gelassen, fast heiter. "Was sollen wir uns aufregen. Die Situation ist ja für alle Sportler gleich."

Irgendwie, so glaubt sie, werde auch etwas Gutes aus dieser Erfahrung wachsen, die derzeit alle Menschen machen. Da ist sie sich sicher.

Als die Nachricht von der Absage der Trofeo Princesa Sofia kam, letzten Donnerstag, erlebte Susann Beucke einen fast surrealen Moment.

"Normalerweise bleibt so was nicht unkommentiert, da gibt es Gezeter und Gerede. Aber diesmal war es anders unter den Aktiven, alle wirkten ganz ernsthaft und gefasst, weil klar war, dass es dafür einen wirklich trifftigen Grund geben muss." Sie sucht nach dem passenden Adjektiv, das die Szene beschreibt, und findet so recht keines.

Wie auch bei einem Ereignis, das die ganze Welt in Atem hält. 

 Quelle: https://www.yacht.de/aktuell/panorama/wie-schwer-das-corona-virus-den-segelsport-trifft/a124254.html